English: Full Maintenance Agreement / Español: Contrato de Mantenimiento Integral / Português: Contrato de Manutenção Completa / Français: Contrat de Maintenance Complète / Italiano: Contratto di Manutenzione Completa
Ein Vollwartungsvertrag ist ein zentrales Element im Betrieb von Windkraftanlagen, das die langfristige Funktionsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit sichert. Diese vertragliche Vereinbarung zwischen Betreiber und Dienstleister regelt die umfassende Instandhaltung aller technischen Komponenten – von Rotorblättern bis zur elektrischen Infrastruktur. Besonders in der Windenergiebranche, wo Anlagen oft abseits von Infrastruktur stehen und extremen Belastungen ausgesetzt sind, stellt der Vertrag eine strategische Absicherung gegen Ausfallzeiten und unerwartete Kosten dar.
Allgemeine Beschreibung
Ein Vollwartungsvertrag (engl. Full Maintenance Agreement) ist ein Dienstleistungsvertrag, der sämtliche Wartungs-, Inspektions- und Reparaturarbeiten für Windkraftanlagen (Wind Energy Converters, WEC) abdeckt. Im Gegensatz zu Teilwartungsverträgen oder bedarfsorientierten Serviceleistungen übernimmt der Anbieter hier die vollständige Verantwortung für die technische Verfügbarkeit der Anlage über einen festgelegten Zeitraum – meist zwischen 5 und 25 Jahren. Die Vertragsbedingungen orientieren sich an internationalen Normen wie der IEC 61400 (Sicherheitsanforderungen für Windturbinen) und beinhalten oft garantierte Verfügbarkeitsquoten (z. B. 97–99 %), die finanziell abgesichert sind.
Typische Leistungen umfassen präventive Wartung (z. B. Schmierstoffwechsel, Vibrationsanalysen), korrektive Maßnahmen (Reparatur defekter Komponenten wie Generatoren oder Pitch-Systeme) sowie ferngesteuerte Überwachung (Condition Monitoring Systems, CMS) in Echtzeit. Moderne Verträge integrieren zunehmend digitale Tools wie KI-gestützte Ausfallvorhersagen (Predictive Maintenance), um Stillstandszeiten zu minimieren. Die Kostenstruktur basiert entweder auf Fixpreisen pro Megawattstunde (MWh) oder pauschalen Jahresgebühren, die von Faktoren wie Anlagenalter, Standort (Onshore/Offshore) und Turbinenmodell abhängen.
Rechtlich ist der Vollwartungsvertrag oft mit Leistungsgarantien verknüpft, die bei Nichteinhaltung der vereinbarten Verfügbarkeit Vertragsstrafen oder Schadensersatzansprüche vorsehen. In der Windbranche sind solche Verträge besonders relevant, da sie Banken und Investoren als Sicherheitsinstrument für Projektfinanzierungen dienen – etwa bei Power Purchase Agreements (PPAs). Die Abgrenzung zu anderen Vertragsformen wie Operations & Maintenance (O&M)-Verträgen liegt im Umfang: Während O&M oft nur Basisleistungen umfasst, deckt der Vollwartungsvertrag auch Großkomponenten wie Getriebe oder Rotorblätter ab, deren Austausch Kosten im sechs- bis siebenstelligen Euro-Bereich verursachen kann.
Technische Details
Die technischen Spezifikationen eines Vollwartungsvertrags für Windkraftanlagen sind hochkomplex und richten sich nach den Besonderheiten der Turbinentechnologie. So erfordern Getriebelose Anlagen (z. B. von Enercon oder Siemens Gamesa) andere Wartungsintervalle als Turbinen mit Planetengetrieben (z. B. von Vestas), da erstere weniger mechanische Verschleißteile aufweisen. Offshore-Anlagen benötigen aufgrund der korrosiven Umgebungsbedingungen (Salzwasser, hohe Luftfeuchtigkeit) spezielle Schutzmaßnahmen wie beschichtete Komponenten oder häufigere Inspektionen der Fundamentstrukturen.
Ein zentraler Parameter ist die Verfügbarkeitsgarantie, die meist als Technical Availability (TA) definiert wird – also die Zeit, in der die Anlage technisch einsatzbereit ist, abzüglich geplanter Wartungsfenster. Moderne Verträge sehen TA-Werte von 98 % und höher vor, was durch redundante Systeme (z. B. doppelte Umrichter) oder mobile Ersatzteilager (Spare Parts Pools) erreicht wird. Die Wartungsintervalle orientieren sich an Herstellervorgaben: So empfehlen viele Hersteller alle 2–4 Jahre eine Hauptinspektion der Rotorblätter (inkl. Blitzschutzprüfung nach IEC 61400-24), während Schmierstoffe in Getrieben alle 6–12 Monate gewechselt werden müssen.
Ein weiterer kritischer Aspekt ist die Integration von Remote Monitoring: Sensoren erfassen permanent Daten zu Temperatur, Vibration oder Ölpartikelzahl, die via Cloud an das Wartungsteam übermittelt werden. Bei Abweichungen von Sollwerten (z. B. erhöhte Lagerreibung) werden automatisch Arbeitsaufträge generiert. Für Offshore-Anlagen kommen zudem spezialisierte Logistikkonzepte zum Einsatz, etwa schwimmende Kräne oder Helikopter-Transfers für Techniker, da Wetterfenster (Weather Windows) die Zugänglichkeit auf 60–80 Tage pro Jahr begrenzen können.
Anwendungsbereiche
- Onshore-Windparks: Standardanwendung für Anlagen mit Nennleistungen zwischen 2 und 6 MW, wo Vollwartungsverträge die Betriebskosten über 20–25 Jahre kalkulierbar machen. Besonders relevant für Betreiber mit mehreren Standorten, da Skaleneffekte bei Ersatzteilbeschaffung und Personaleinsatz genutzt werden können.
- Offshore-Windparks: Hier sind Vollwartungsverträge aufgrund der extremen Bedingungen (Salzwasser, Wellenbelastung) und hohen Logistikkosten unverzichtbar. Verträge decken oft zusätzliche Risiken wie Korrosionsschutz oder Taueinsatz für Eisberggürtel (in arktischen Regionen) ab.
- Repowering-Projekte: Bei der Modernisierung älterer Anlagen (z. B. Austausch von 1-MW-Turbinen durch 4-MW-Modelle) werden Vollwartungsverträge genutzt, um die verlängerte Lebensdauer der neuen Komponenten abzusichern. Dies ist besonders in Deutschland relevant, wo viele Anlagen nach 20 Jahren aus der EEG-Förderung fallen.
- Community-Windprojekte: Bürgerenergiegenossenschaften nutzen Vollwartungsverträge, um das technische Risiko auf externe Dienstleister zu übertragen und so die Finanzierung durch Banken zu erleichtern. Die Vertragslaufzeiten sind hier oft kürzer (10–15 Jahre), um Flexibilität für spätere Eigenwartung zu erhalten.
Bekannte Beispiele
- Siemens Gamesa Service: Bietet mit dem Full-Wrapper-Vertrag eine der umfassendsten Lösungen für Onshore- und Offshore-Anlagen, inklusive Garantien für die Jahresenergieproduktion (AEP, Annual Energy Production). Ein bekanntes Projekt ist der Windpark Hornsea One (UK) mit 174 Turbinen der 7-MW-Klasse.
- Vestas Active Output Management (AOM): Kombiniert Vollwartung mit Echtzeit-Datenanalyse und bietet eine Verfügbarkeitsgarantie von bis zu 99 %. Einsatz u. a. im Windpark Gode Wind (Nordsee) mit 97 Turbinen des Typs V112-3.3 MW.
- GE Renewable Energy's CyberWind: Integriert cyber-physische Systeme für vorhersagende Wartung und wird im Windpark Merkur (Deutschland, 66 Turbinen à 6 MW) eingesetzt. Der Vertrag umfasst auch die Wartung der Umspannplattform.
- Enercon Wartungskonzept: Bei getriebelosen Anlagen (z. B. E-126 EP4) setzt Enercon auf langfristige Vollwartungsverträge mit Fokus auf die hauseigene Ringgenerator-Technologie, die weniger Verschleißteile aufweist. Beispiel: Windpark Estinnes (Belgien) mit 11 Turbinen à 7,5 MW.
Risiken und Herausforderungen
- Kosteneskalation: Bei langlaufenden Verträgen (20+ Jahre) können unvorhergesehene Teuerungen für Ersatzteile (z. B. durch Lieferengpässe wie nach der COVID-19-Pandemie) oder Lohnsteigerungen die Wirtschaftlichkeit gefährden. Einige Verträge sehen daher Preisgleitklauseln (Price Adjustment Clauses) vor.
- Technologische Obsoleszenz: Schnellere Innovationszyklen (z. B. bei Rotorblattmaterialien) können dazu führen, dass gewartete Komponenten veralten, während der Vertrag noch läuft. Dies betrifft besonders ältere Anlagen, die nicht für digitale Monitoring-Systeme ausgelegt sind.
- Vertragsstrafen bei Nichtverfügbarkeit: Bei Nicht-Erreichen der garantierten Verfügbarkeit (z. B. durch wiederholte Getriebeschäden) müssen Dienstleister hohe Strafzahlungen leisten. Dies führte in der Vergangenheit zu Rechtsstreitigkeiten, etwa beim Offshore-Windpark Greater Gabbard (UK), wo Kabeldefekte zu längeren Stillständen führten.
- Abhängigkeit vom Dienstleister: Betreiber verlieren oft eigenes technisches Know-how, da alle Wartungsaufgaben outgesourct werden. Dies kann bei Vertragsende oder Anbieterwechsel zu Problemen führen, insbesondere wenn dokumentationspflichtige Arbeiten (z. B. nach DIN EN ISO 9001) nicht lückenlos nachweisbar sind.
- Versicherungsschutz: Nicht alle Vollwartungsverträge decken Schäden durch höhere Gewalt (z. B. Blitzeinschläge oder Sturmfluten) ab. Hier sind zusätzliche All-Risk-Versicherungen erforderlich, die die Betriebskosten weiter erhöhen.
Ähnliche Begriffe
- Teilwartungsvertrag: Deckt nur bestimmte Komponenten (z. B. nur die mechanischen Teile oder die elektrische Infrastruktur) ab. Häufig bei älteren Anlagen, wo Großkomponenten bereits außerhalb der Garantiezeit liegen.
- Operations & Maintenance (O&M)-Vertrag: Umfasst neben Wartungsleistungen auch den operativen Betrieb (z. B. Fernüberwachung, Berichterstattung). Im Gegensatz zum Vollwartungsvertrag sind hier oft keine Garantien für die Verfügbarkeit enthalten.
- Performance-Based Maintenance: Wartungsleistungen werden nicht pauschal, sondern basierend auf der tatsächlich erbrachten Leistung (z. B. pro erzeugter MWh) abgerechnet. Dies erfordert präzise Messsysteme und ist eher bei größeren Windparks verbreitet.
- Extended Warranty (erweiterte Garantie): Wird oft von Herstellern angeboten und deckt spezifische Komponenten über die Standardgarantiezeit (meist 2–5 Jahre) hinaus ab. Im Gegensatz zum Vollwartungsvertrag sind hier keine regelmäßigen Inspektionen inkludiert.
- Service Level Agreement (SLA): Definiert die Qualität der Wartungsleistungen (z. B. Reaktionszeiten bei Störungen), ist aber kein eigenständiger Vertragstyp, sondern Bestandteil anderer Vereinbarungen.
Zusammenfassung
Ein Vollwartungsvertrag ist ein essenzielles Instrument zur Risikominimierung und Kostentransparenz im Betrieb von Windkraftanlagen, das besonders in der kapitalintensiven Offshore-Branche unverzichtbar ist. Durch die Bündelung präventiver, korrektiver und digitaler Wartungsleistungen ermöglicht er Betreibern, die technische Verfügbarkeit langfristig zu planen und Finanzierungspartner von der Projektstabilität zu überzeugen. Gleichzeitig bergen die Verträge Herausforderungen wie mögliche Kostensteigerungen oder technologische Abhängigkeiten, die durch sorgfältige Vertragsgestaltung – etwa durch klare Definition von Verfügbarkeitsparametern oder Exit-Klauseln – gemildert werden können.
Die Entwicklung hin zu datengetriebenen Wartungskonzepten (Predictive Maintenance) und die Integration von KI wird die Rolle von Vollwartungsverträgen weiter stärken, da sie eine proaktive Steuerung der Anlagenleistung ermöglichen. Für Betreiber bleibt die Abwägung zwischen umfassender Absicherung und Flexibilität entscheidend, insbesondere vor dem Hintergrund sich wandelnder regulatorischer Rahmenbedingungen (z. B. Ausscheiden aus der EEG-Förderung) und technologischer Fortschritte.
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